Toilettenwasser wird zu Trinkwasser

Millionenmetropolen wie Singapur haben immer mehr mit der Trinkwasserversorgung der Bewohner zu kämpfen. Singapur produziert Trinkwasser direkt aus Abwasser. Der übliche Kreislauf ist, das Abwasser durch Kläranlagen soweit zu reinigen, dass es wieder in den natürlichen Wasserkreislauf gelangt. Dort arbeitet auch die Natur mit seinem Ökosystem an einer biologischen Reinigung des Wassers.

Die Wasserversorger entnehmen Grund- oder Oberflächenwasser und bereiten es nochmals auf, bevor es als Trinkwasser aus unserem Wasserhahn fließt. In Singapur wird das Abwasser direkt aufbereitet und zu Trinkwasser gemacht. Diese Methode wird von Experten kritisch gesehen – sie warnen vor einer Katastrophe. Auch die Bewohner sind skeptisch. Aufbereitetes Toilettenwasser trinken?

Bis in die 90er-Jahre musste Singapur sein Süßwasser komplett aus anderen Ländern importieren, und selbst heute kommt noch der Großteil über Pipelines vom Nachbarstaat Malaysia. Neben dem Hafen und dem Flughafen als Drehscheibe für den südostasiatischen Handel ist die Halbleiterbranche ein wichtiger Industriezweig, der allein sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Die bilateralen Verträge mit Malaysia laufen 2061 aus, und bis dahin will Singapur möglichst unabhängig im Bereich Süßwasser sein. Neben der Wasserversorgung der 5,7 Millionen Bewohner ist das Wasser ein wichtiger Faktor für die Ökonomie, weshalb der Tigerstaat einen ressortübergreifenden Forschungsschwerpunkt zum Thema Wasser initiiert hat. Mit der „4-Tap-Strategy“ soll die Abhängigkeit von anderen Staaten bezüglich Wasser verringert werden.

Tap 1, aus dem Englischen für „Wasserhahn“, steht für Wasserimporte, welche nach und nach reduziert werden sollen. Tap 2 sind Infrastrukturmaßnahmen zum Sammeln von Regenwasser. Der Niederschlag, der auf den Stadtstaat fällt, wird systematisch über Dächer, Straßen, Drainagen und Kanäle in insgesamt 17 Speicher geleitet. 2011 wurden bereits von zwei Dritteln der Landfläche die Niederschläge aufgefangen. Bis 2060 sollen es 90 Prozent sein. Tap 4 ist die Gewinnung von Süßwasser durch Meerentsalzung. 2005 ging die erste Meerwasserentsalzungsanlage mit einer Kapazität von 136.000 Kubikmetern Süßwasser pro Tag an den Start, und seit 2013 haben PUB und Hyflux eine größere Meerwasserentsalzungsanlage in Betrieb genommen, welche 318.500 Kubikmeter Süßwasser produziert. Damit werden derzeit 25 Prozent des täglichen Bedarfs an Süßwasser gedeckt.

Tap 3 ist die Aufbereitung von Abwasser zu Süßwasser in Trinkwasserqualität. Ein typisches Bild im Besucherzentrum der Newater-Fabrik in Singapur: Ein kleines Mädchen rümpft die Nase, als sie aufgefordert wird, einen Schluck aus der Flasche mit dem lustigen Aufkleber zu trinken. Die Betreuerin erklärt, dass dies Wasser rein und sauber sei, auch wenn es aus Toiletten- und anderem Abwasser stammt. Immerhin ist es klar und geruchslos, doch genau wie die Mutter ist das kleine Mädchen zunächst skeptisch. Nach einem zaghaften Schluck ist das kleine Mädchen erleichtert. „Das schmeckt ja nach nichts“, so das Mädchen, und die Betreuerin ist zufrieden. Genau so soll es ja auch sein. Die Devise des Public Utilities Board (PUB), der staatlichen Wasserwerke Singapurs, ist: „Jeden Tropfen zweimal nutzen.“ Der Stadtstaat ist Pionier in der direkten Aufbereitung von Abwasser zu Trinkwasser, und das hat auch wirtschaftliche Gründe. Singapur, in etwa so groß wie Hamburg, liegt zwar in einem regenreichen Gebiet, es fehlt aber aufgrund von Flächen an großen Wasserreservoirs. Da ist es naheliegend, das Abwasser wieder verfügbar zu machen.

Die Bevölkerung ist nicht überzeugt, auch wenn die Betreuerin der Führung durch das Unternehmen Newater erklärt: „Dabei ist ja auch Regen nichts anderes als recyceltes Abwasser.“ Das neue Wasser, wie das Wortspiel Newater (aus New und Water), suggerieren will, wird zum größten Teil in der Industrie verwendet. Nur ein kleiner Teil wird in die Trinkwasserspeicher geleitet. In Flaschen gibt es das aufbereitete Abwasser nur im Besucherzentrum von Newater. Rund ein Drittel des Abwassers der Millionenstadt wird bereits aufbereitet. Das Abwasser wird durch das Abwassersystem zu der 48 Kilometer entfernten Aufbereitungsanlage geleitet. Täglich werden 273.000 Kubikmeter „Newater“ produziert.

Die Aufbereitung erfolgt durch Mikrofilter, Membranen und Bestrahlung mit ultraviolettem Licht. Um dies den Besuchern bei der Führung zu verdeutlichen, erklärt die Betreuerin: „Wenn die Wassermoleküle, die durch die Membranen gehen, so groß wie Tennisbälle wären, wäre ein Östrogenhormon im Vergleich dazu so groß wie ein Fußball, ein Virus so groß wie ein Lkw und ein Bakterium so groß wie ein Haus. Nichts davon kann durch die feinen Membranen dringen.“ Im Gegensatz zur Meerwasserentsalzung benötigt dieses Verfahren nur ein Drittel der Energie pro Liter Trinkwasser.

Orange County im US-Bundesstaat Kalifornien hat auch eine derartige Anlage im Betrieb. Australien propagiert dieses Verfahren ebenfalls, doch hier ist der Widerstand der Bevölkerung noch sehr groß. „Die Auflagen für aufbereitetes Wasser sind höher als für Trinkwasser. Wenn wir aufbereitetes Wasser trinken, können wir sicher sein, dass die Qualität mindestens so hoch ist wie bei dem Trinkwasser, das wir heute bekommen, wenn nicht höher“, sagte Tim Fletcher, Direktor des Instituts für nachhaltige Wasserressourcen an der Monash-Universität in Melbourne, gegenüber dem TV-Sender ABC. „Wenn wir aufbereitetes Wasser trinken, können wir sicher sein, dass die Qualität mindestens so hoch ist wie bei dem Trinkwasser, das wir heute bekommen, wenn nicht höher.“ Der Meinung sind nicht alle Experten. Peter Collignon, Mikrobiologe und Spezialist für ansteckende Krankheiten, hält dieses Verfahren für „unverantwortlich“ im Hinblick auf die Vielzahl der möglichen Krankheitserreger im Abwasser. „Das Potenzial katastrophaler Folgen für die öffentliche Gesundheit ist da. Wehe, wenn irgendetwas in diesem komplexen und risikobehafteten Reinigungsprozess schiefgeht“, so Collignon.

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