Supermarktregal

Immer mehr Eltern sorgen sich über die täglichen Bauchkrämpfe, Übelkeit, Blähungen, Durchfall oder Kopfschmerzen ihrer Kinder. Der erste Verdacht liegt meist bei einer Laktoseunverträglichkeit. Die ist bekannt, schon weil einem die laktosefreien Ersatzprodukte überall begegnen. Aber wenn es keine Besserung gibt, obwohl Milch, Jogurt und Käse vom Speiseplan gestrichen werden, stehen die Eltern vor einem Rätsel. Oftmals ist die Lösung einfach. Es ist der Fruchtzucker.

 Rund jeder vierte Europäer hat eine sogenannte Fruktosemalabsorption. Die Betroffenen vertragen lediglich deutlich begrenzte Mengen an Fruchtzucker. Die Hälfte von ihnen zeigt entsprechende Symptome. Auch wenn es eine Fruchtzuckerunverträglichkeit ist, reicht es nicht aus Obst vom Speiseplan zu streichen. Fruchtzucker beziehungsweise Fruktose ist in etlichen Lebensmitteln enthalten. Nur ist dies den meisten Verbrauchern gar nicht bewusst, denn er wird anders bezeichnet. Wer denkt schon bei Isoglukose, Maissirup oder Glukosesirup an Fruktose?

Diese und andere Bezeichnungen für Fruktose-Glukose-Sirup nutzt die Lebensmittelindustrie, um den Verbraucher zu täuschen. Das aus Mais- oder Weizenstärke hergestellte Gemisch wird zunehmend von den Herstellern zum Süßen verwendet. Einen Fruchtjoghurt ohne Isoglukose zu finden ist beinahe wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Produkte wie Milchreis, Pudding, Eiscreme, Kuchen, Kekse, Säfte, Fertigsaucen, Salate, Brötchen, Ketchup, Rotkohl oder Obstkonserven werden mit Isoglukose gesüßt. Selbst Fitnessgetränke für Sportler enthalten diese Süßungsmittel.

Weißer, raffinierter Zucker wird von vielen Verbrauchern als geradezu gefährlich für die Gesundheit empfunden. Die Lebensmittelindustrie reagierte darauf und hat den weißen Zucker in vielen Produkten extrem reduziert und oftmals ganz darauf verzichtet. Jedoch wurden gleichzeitig dafür etliche Ersatzstoffe in die Produkte hinzugegeben, die erst recht ein Problem darstellen.

Zucker kann eigentlich als der Stoff der Hundert Namen bezeichnet werden. Bei vielen Bezeichnungen kommt einem nicht einmal der Gedanke, dass es sich um Zucker handeln könnte. Die Lebensmittelindustrie ist sehr kreativ dabei, dem Verbraucher den wahren Zuckergehalt von seinen Produkten zu verheimlichen. Die legitime Praxis bei der Deklaration von Inhaltsstoffen könnte schon als arglistige Täuschung bezeichnet werden, denn für den Otto-Normal Verbraucher ist es nicht ersichtlich, wieviel Zucker wirklich in den meisten Produkten steckt.

Für Gluten- und laktosefreie Lebensmittel hat sich mittlerweile ein richtiger Nischenmarkt entwickelt. Durch eindeutige Beschriftung wird Betroffenen der Einkauf erleichtert und gesundheitsbewusste Konsumenten wissen mit welchen Produkten sie sich was Gutes tun. Wenn es allerdings um Zucker geht sind Menschen die unter Fruktosemalabsorption leiden meist hilflos. Der Verbraucher ahnt in der Regel nichts von den hohen Gehalten an Zucker und hat es schwer die Zuckerfallen beim Einkauf zu entdecken. Zucker ist mehrheitlich in verarbeiteten Lebensmitteln enthalten und oftmals in hohen Mengen. Nur versteht es die Lebensmittelindustrie das nicht so offen zu zeigen. "Zucker hat beim Verbraucher ein negatives Image. Deshalb wollen die Hersteller ihn nicht so leicht erkennbar in der Zutatenliste haben. Oder wenn, dann möglichst weit hinten", so Armin Valet, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg.

Die Deklarationspflicht für verpackte Lebensmittel verlangt, dass die Hersteller alle enthaltenen Zutaten auflisten. Die Zutaten müssen nach den Mengen im Endprodukt absteigend sortiert sein, also je mehr Zucker ein Produkt hat, desto weiter oben muss der Zucker in der Zutatenliste stehen. Die Wahrheit ist leider eine andere, der Marktcheck „Versteckspiel mit Zucker“ der Verbraucherzentralen zeigt. Es wurden bundesweit 276 verarbeitete Lebensmittel untersucht und dabei wurden 70 verschiedene Bezeichnungen für Süßmacher entdeckt.

Der klassische Haushaltszucker, die Saccharose, kommt bei Weitem nicht als einzige Möglichkeit zum Süßen in Betracht. Es sind vor allem die vielen anderen süßenden Stoffe, die der Konsument nicht als Zucker wahrnimmt, diese jedoch einen vergleichbaren Effekt auf den Körper haben. Kommen mehrere süßende Stoffe in ein Produkt, sind ihrer einzelnen Anteile in der Gesamtmenge gering. So steht dann der Zucker nicht an erster oder zweiter Stelle, sondern viel weiter unten in der Zutatenliste.

Wie da getrickst wird, ist aus der Untersuchung „Versteckspiel mit Zucker“ anhand einer Schoko-Cerealien-Waffel sehr deutlich zu erkennen. In der Waffel wurden elf Zutaten aufgelistet, die zum Zuckergehalt des Produktes beitragen. Das waren: Glukose-Fruktose-Sirup, Glukosesirup, karamellisierter Zucker, Maltodextrin, Milchzucker, Molkenerzeugnis, Süßmolkenpulver, Vollmilchpulver, Magermilchpulver, Zucker und gezuckerte Kondensmilch. Dadurch erschien der Begriff „Zucker“ erst im hinteren Mittelfeld der Zutatenliste, obwohl der Zuckergehalt der Waffel 45,4 Gramm pro 100 Gramm betrug.

Wer denkt die Nähwerttabelle könnte mehr Klarheit bringen, wird auch enttäuscht. Zwar wird der Kaloriengehalt und die Anteile an Fett, Kohlenhydraten, darunter Zucker, und Eiweiß aufgeführt, doch auch hier steckt nur die halbe Wahrheit drin. Es müssen lediglich die Einfach- und Zweifachzucker angegeben werden. „Wenn zum Beispiel ein Glukosesirup auch Dreifach- oder Vierfachzucker enthält, muss der Hersteller diese nicht in die Liste einrechnen“, erklärt Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern. So sind die beinahe vollständig aus Zucker bestehenden Gummibärchen mit 44 Prozent Zucker deklariert.

Selbst gesundheitsbewusste Konsumenten die gerne Bio-Produkte einkaufen, werden getäuscht. "Zucker gilt in diesem Bereich als rotes Tuch. Deshalb werden bei Bioprodukten statt Haushaltszucker häufig andere Zuckerarten verwendet, die aber keinen Deut besser sind“, sagt der Hamburger Verbraucherschützer Armin Valet. So wirbt beispielsweise der „Tiger Kinder Ketchup“ von Rapunzel mit dem Slogan „Ohne Zusatz von Zucker – nur mit Apfeldicksaft gesüßt“. Allerdings enthält das Produkt nicht weniger Zucker als Vergleichsprodukte. „Die Verbraucher haben da oft eine falsche Vorstellung: Wenn es um Karies geht oder um Übergewicht, macht es keinen Unterschied, ob ein Lebensmittel mit Rübenzucker, Apfeldicksaft oder Honig gesüßt wird. Produkte, die damit werben, dass 'nur Fruchtsüße' oder Agavendicksaft in ihnen steckt, können sogar einen höheren Zuckergehalt haben als Vergleichsprodukte ", sagt Valet.

Auch Konsumenten die auf den Zuckergehalt achten tappen in die Falle, wie eine Umfrage der Uni Göttingen belegte, die auf der Grünen Woche veröffentlicht wurde. Steht auf einem Produkt „Ungesüßt“, denken 70 Prozent der Verbraucher, dass kein zusätzlicher Süßstoff enthalten ist. Beim Begriff „Ohne Zuckerzusatz“ glauben noch 53 Prozent, das keine Süßstoffe im Produkt stecken. Es handelt sich bei solchen Produkten dann zwar nicht um Ein- und Zweifachzucker oder Sirupe, doch dürfen zum Süßen Zuckeraustausch- oder Süßstoffe verwendet werden. Ein weiterer Irrglaube von 72 Prozent der Befragten war die Annahme, dass „ungesüßte“ Produkte weniger Kalorien enthalten. Das „ungesüßte“ Cappuccino-Pulver besteht dennoch aus 40 Prozent Zucker, nur eben aus Süßmolkenpulver. Als Kalorienarm kann das nicht bezeichnet werden.

Ernährungswissenschaftler und Ärzte sehen die bewusste Täuschung der Verbraucher als Problem. „Man muss schon ein hohes Wissen von Zucker haben, wenn man die Verpackungen verstehen will. Bei Isoglukose zum Beispiel wechselt der Name, je nachdem wie hoch der Fruktoseanteil darin ist. Da fände ich eine einheitliche Bezeichnung und eine klare Angabe der Anteile sinnvoller“, sagt Ina Bergheim, Leiterin des Instituts für Ernährungswissenschaften an der Universität Jena.

Die Skepsis gegenüber Fruchtzucker hat in der Wissenschaft in den letzten Jahren zugenommen. Fruktose als „natürliche Süße“ galt lange als der „bessere“ Zucker, da er mehr Süßkraft hat und nicht den Insulinspiegel belastet. Fruktose war ideal für Diabetiker-Produkte. Diese Annahme scheint überholt. Die Diabetiker-Produkte sind längst vom Markt und der „bessere“ Zucker Fruktose steht im Verdacht ein Treiber für Insulinresistenzen zu sein. Leider ist die Studienlage nicht eindeutig, denn bei Ernährungsstudien spielen ethische Probleme und Verzerrungen immer eine Rolle. Dennoch mehren sich die Hinweise, dass Zucker ein Auslöser für Entzündungsprozesse im Körper ist und Fruktose zudem eine stärkere Wirkung hat als Glukose. Daher rät die American Heart Association allen Frauen maximal sechs Teelöffel und allen Männern maximal neun Teelöffel zugesetzten Zucker pro Tag zu konsumieren. Obst ist natürlich ausgeschlossen, aber ansonsten zählen alle Getränke und Nahrungsmittel dazu.

In den Vereinigten Staaten ist Fruktose-Glukose-Sirup seit Jahrzehnten beinahe flächendeckend und in hoch konzentrierter Form in Softdrinks und Lebensmitteln enthalten. Der Rohstoff Mais ist ein billiges und staatlich subventioniertes Produkt, weshalb ein Marktanteil von 50 Prozent von Fruktose-Glukose-Sirup in Softdrinks und Lebensmitteln kaum überrascht. Selbst ohne die starke Subvention ist Maissirup günstiger als herkömmlicher Haushaltszucker. Im Gegensatz zur Zuckerproduktion aus Zuckerrüben, lässt sich Maissirup das ganze Jahr über herstellen. Zudem lässt er sich leicht transportieren. Auch die Verarbeitung in flüssigen Lebensmitteln und solchen mit weicher Konsistenz ist deutlich einfacher als bei der kristallinen Saccharose.

In Europa liegt der Marktanteil noch bei fünf Prozent, doch dies wird sich ab Oktober 2017 ändern. Dann fallen die EU-Quoten für Zucker und für Isoglukose, die bisher auf rund 700.000 Tonnen pro Jahr limitiert wurden. Nach Schätzungen der EU wird sich die Produktion nach dem Wegfall der Quote bis 2023 auf 2,4 Millionen Tonnen erhöhen und somit mehr als verdreifachen. Für die rund 25 Prozent der Europäer, die zur Fruktosemalabsorption neigen kann das zu einem Problem werden. „Fruchtzuckerunverträglichkeit ist definitiv ein Mengenproblem. Eine ganze Weile geht es gut, auch wenn man viel Fruchtzucker zu sich nimmt. Dann fängt es an, dass man immer wieder Bauchschmerzen bekommt, und irgendwann kippt es komplett, zum Beispiel durch einen Magendarm-Infekt oder Stress“, erklärt die Berliner Ernährungsberaterin Mandy Ziegert.

Was vielen ebenfalls nicht bewusst ist. Der Zuckeraustauschstoff Sorbit führt bei 80 Prozent der Menschen mit Fruktosemalabsorption ebenfalls zu Beschwerden, da sie gleichzeitig unter einer Sorbitunverträglichkeit leiden. Zuckerfreie Produkte haben dann schmerzhafte Folgen, da Sorbit die Aufnahmefähigkeit des Dünndarms für Fruktose weiter herabsetzt. „Viele Kinder bekommen schon nach zwei, drei Bonbons oder Kaugummis Probleme“, erklärt Mandy Ziegert ihre Erfahrungen aus ihrer Kinder-Ernährungspraxis.

Daher wird zunehmend eine bessere und einheitlichere Kennzeichnung gefordert. „Der Zuckerbegriff muss neu definiert werden, und zwar so, wie ihn die Verbraucher verstehen“, fordert Verbraucherschützer Armin Valet. Es muss Schluss sein mit der „ganzen Unordnung in den Nährwerttabellen und Zutatenlisten" und endlich Klarheit geschaffen werden. Verbraucherschützerin Daniela Krehl gibt ein Beispiel wie sehr die Verbraucher ihren Konsum verändern, sofern sie gut informiert werden. „In den USA werden bei Starbucks in einigen Läden inzwischen neben den Preisen die Kalorien der einzelnen Angebote angezeigt. Seitdem das so ist, hat sich der Kaloriengehalt pro Kassenbon deutlich reduziert. Das zeigt: Wenn der Verbraucher informiert ist, dann verhält er sich auch entsprechend“, so Daniela Krehl.

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