Schere-zwischen-arm-und-reich

Die Armut in Deutschland wächst. Trotz Arbeit reicht der Lohn nicht für Miete, Strom, Heizen und Essen. Das goldene Deutschland des Wohlstands ist längst passé. Obwohl Deutschland wirtschaftlich zu den stärksten Nationen der Welt zählt und Exportweltmeister ist, leben Millionen Menschen trotz Arbeit unter der Armutsgrenze.

Mit seiner Hände Arbeit kann ein jeder der Armut entrinnen. Vor allem in den reichen Industrienationen galt dies für lange Zeit. Die heutige Situation ist eine andere. Millionen Erwerbstätige leben in Armut. Die Kluft zwischen Armen und Wohlhabenden klafft auch in Deutschland immer weiter auseinander.

Laut Statistischem Bundesamt erhielten 3,1 Millionen Beschäftigte ein Einkommen unter der Armutsschwelle. Dies bedeutete einen Anstieg um 25 Prozent gegenüber 2008, wo es rund 2,5 Millionen Erwerbstätige betraf. Die Haushaltsbefragungen ergaben, dass 379.000 der betroffenen Erwerbstätigen ihre Miete nicht rechtzeitig bezahlen konnten. 417.000 froren lieber und verzichteten auf angemessenes Heizen. 538.000 sparten beim Essen. Sie nahmen nur alle zwei Tage eine vollwertige Mahlzeit zu sich. An sich kaum vorstellbare Lebenssituationen im „reichen“ Deutschland. Für jeden zweiten der Betroffenen 3,5 Millionen war ein einwöchiger Urlaub nicht finanzierbar. 600.000 konnten sich kein eigenes Auto leisten. Nach dem Bericht des Statisten Bundesamt zählen zu den Armutsgefährdeten Personen all jene, die inklusive aller staatlichen Transfers wie Kinder- und Wohngeld weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erhalten. 2013 lag der Betrag bei 979 Euro netto im Monat.

Mit der aktuellen Situation hat die Armut einen historischen Höchststand erreicht, wie der Paritätische Gesamtverband in einem Bericht zur regionalen Armutsentwicklung darlegt. Demzufolge waren 2013 zwölf Millionen Menschen in Deutschland von Armut bedroht. Die Armutsquote stieg um einen halben Prozentpunkt auf 15,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig ist zwischen den wirtschaftsschwachen und den wohlhabenden Regionen die Schere weiter auseinander gegangen. Lag der Abstand zwischen der am meisten und der am wenigsten von Armut betroffenen Region 2006 noch 17,8 Prozentpunkte, waren es 2013 bereits 24,8 Prozentpunkte. So spricht Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider auch von einer „armutspolitisch tief zerklüfteten Republik“.

Der Anstieg der Armut ist bundesweit zu beobachten. 13 der 16 Bundesländer verzeichnen einen Anstieg der Armut. Nur in Sachsen-Anhalt ist ein leichter Rückgang zu beobachten. In Brandenburg gab es einen deutlicheren Rückgang der Armut und in Sachsen blieb die Quote auf dem gleichen Niveau. Das Ruhrgebiet, Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zeigten bereits in den drei vorherigen Berichten die negativsten Entwicklungen und bestätigten im neuesten Bericht ihren Trend. In diesen drei Bundesländern ist der Zuwachs der Armut überproportional. Einen beängstigenden Trend zeigen die neuen Problemregionen Nordrhein-Westfalen und der Großraum Köln/Düsseldorf. Bei den rund fünf Millionen Menschen ist die Armut seit 2006 um 31 Prozent gestiegen und betrifft nun überdurchschnittliche 16,8 Prozent der dort lebenden Menschen.

Besonders betroffen sind Erwerbslose und Alleinerziehende. Mehr als 40 Prozent der Alleinerziehenden und knapp 60 Prozent der Erwerbslosen sind arm. Die Tendenz ist seit 2006 ansteigend.

Ebenfalls auf einem sehr hohen Niveau ist die Kinderarmut in Deutschland. Von 2012 auf 2013 ist die Armutsquote der Minderjährigen um 0,7 Prozentpunkte auf 19,2 Prozent gestiegen. Damit lebt fast jedes fünfte Kind in Armut. Das ist der höchste Wert seit 2006. Auch die Hartz-IV-Quote der bis 15-Jährigen ist seit ihrem Rückgang seit 2007 wieder angestiegen. Sie liegt bei 15,5 Prozent, höher als bei der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005.

Einen besonders beängstigenden Trend zeigt die Altersarmut. Zwar liegt diese mit 15,2 Prozent noch unter dem Durchschnitt, doch ist sie seit 2006 überproportional angestiegen, etwa um das Vierfache. Die Altersarmut zeigt die rasanteste Entwicklung aller Bevölkerungsgruppen.

Aber nicht nur in Deutschland ist die wachsende Armut ein Problem. In Frankreich sind Zehntausende trotz Arbeit obdachlos. Dieses überraschende Ergebnis zeigte die vom französischen Statistikamt Insee veröffentlichte Studie zur Beschäftigungslage französischsprachiger Obdachloser. 25 Prozent der Obdachlosen in Frankreich gehen einer bezahlten Beschäftigung nach, doch das Einkommen reicht nicht für die Bezahlung von Wohnraum. Die obdachlosen Frauen beispielsweise sind als Haushaltshilfe, in der Kinderbetreuung oder als Krankenpflegerin tätig und schaffen es dennoch nicht mit ihrem Einkommen sich Wohnraum zu leisten. Aber es ist nicht nur die Unerreichbarkeit von Wohnraum. In den reichen Industrienationen leben nach Angaben der UN-Welternährungsorganisation FAO inzwischen 15 Millionen chronisch Unterernährte.

Eigentlich galt die Armut in Westeuropa schon lange als besiegt. In den Industrieländern müsse niemand mehr hungern. Doch durch den Umbau der Sozialpolitik und den Umbrüchen in der Wirtschaft kommt die Armut mit großer Stärke zurück. Politische Entscheidungen, die eigentlich größere ökonomische Effektivität und größeren Wohlstand bringen versprachen, entpuppten sich für einige Gesellschaftsschichten als Fiasko. Das betraf nicht nur Länder wie Portugal oder Spanien, wo jeder vierte arbeitslos ist und Millionen von Kindern in Armut leben. Es traf auch Länder wie Frankreich und Deutschland, wie die Zunahme der Armut deutlich beweist.

Es gibt keine Tendenzen, die zeigen, dass sich in absehbarer Zeit etwas an den negativen Trends ändert. Ganze Gesellschaftsschichten fühlen sich vom Wirtschaftswunder ausgegrenzt. Bei ihnen kommt nichts davon an, sondern es wird zunehmend schwieriger zu überleben. Meist geht die Armut von den Eltern auf die Kinder über, sie wird vererbt. Unsere Kinder sollten eigentlich unsere Zukunft sein und an der Zukunft mitwirken. Stattdessen werden sie im Kreislauf von sozialer Abhängigkeit, Mutlosigkeit und Perspektivlosigkeit gefangen bleiben.

Wie hier ein Ausweg gefunden werden kann, könnte der Bericht der ‘The European Foundation for Improvement‘ zeigen. Hier wurden die Erfahrungen von Familien aus zehn Mitgliedsstaaten von der Wirtschaftskrise 2008 bis heute analysiert. Es wurden sowohl Familien mit den höchsten als auch den geringsten Rahmenbedingungen in den Bericht einbezogen. Es sollte ermittelt werden welche Auswirkungen die Maßnahmen der Politik auf die Wirtschaftskrise bei den Familien hatten. Bei den Maßnahmen gab es spannungsbezogenen Themen wie die Weiterentwicklung von Familienbedürfnissen, Kosteneinsparungen oder die Notwendigkeit gerechter Ressourcenverteilung.

Dies führte in einigen Ländern zu Kürzungen bei den Zuwendungen, die häufig benachteiligte Familien traf. In anderen Ländern wurden Maßnahmen getroffen, von denen gerade die benachteiligten Familien am meisten profitierten. Dieser Bericht ist ein guter Leitfaden für Politiker, der ihnen aufzeigt welche Maßnahmen zur Linderung von Armut und sozialer Ausgrenzung von benachteiligten Familien mit abhängigen Kindern funktionieren.

Schon längst ist das Armutsgefälle in Deutschland kein Ost/West Problem. Es ist eher demografisch zwischen Land und Stadt. Überall in Deutschland trifft es auch die gleichen Risikogruppen – arbeitslose, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und Rentner. Soziale monetäre Leistungen verhindern zwar derzeit, dass die Armut nicht noch dramatischere Auswüchse angenommen hat, doch sie ist kein Teil zur Lösung des Problems. Geld kann nur die Symptome angehen, doch das Problem nicht beseitigen. Und das Problem wächst zunehmend. Irgendwann können nicht mal mehr die Symptome behandelt werden, da einfach das Geld fehlt.

Armut kann nur mit einer gesunden Wirtschaft und geringer Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Die Löhne müssen angemessen sein, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können und ein würdiges Leben zu führen. Das 3,5 Millionen Menschen in Deutschland trotz Arbeit dies nicht schaffen, zeigt nur, dass die Löhne und Kosten des Lebens in keiner vernünftigen Relation stehen.