Schlachthaus-Schweinehälften

In China ist ein neues Gen zum Problem geworden. Es kann Bakterien selbst gegen Reserve-Antibiotika wie das Notfall-Antibiotikum Colistin resistent machen. Nun ist das Gen auch in Europa und in Deutschland aufgetaucht. Es wurde bei einem Deutschen entdeckt und ist bei Nutztieren weit verbreitet, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin und die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) meldeten.

Nach China ist der Superkeim auch hierzulande angekommen. Das selbst gegen Reserve-Anibiotikum Colistin resistente Gen mcr-1 ist zudem zwischen verschiedenen Bakterienstämmen übertragbar, was es besonders tückisch und gefährlich macht. Es kommt in Deutschland jährlich etwa zu 6.000 Todesfällen durch Erkrankungen mit multiresistenten Keimen, bei denen eine Antibiotikatherapie nicht anschlägt. Bleibt es bei der Entwicklung von Resistenzen gegen Antibiotika, könnten 2050 weltweit in etwa so viele Menschen an Infektionen durch multiresistenten Keimen sterben wie an Krebs, wie ein Wissenschaftler der Umweltmedizin der Berliner Charité im Juni 2015 erklärte.

Wie wahrscheinlich dieses Szenario ist, zeigten vor wenigen Wochen Wissenschaftler aus China. Sie entdeckten ein besonders leicht auf andere Bakterienstämme übertragbares Gen (mcr-1), welches die Keime immun gegen Antibiotika werden lässt. Schon lange sorgen sich Mediziner und Wissenschaftler um die steigende Antibiotikaresistenz in Industrieländern. Bisher haben bei Infektionen mit resistenten Keimen sogenannte Notfall- bzw. Reserve Antibiotika wie Colistin noch helfen können. Colistin wird in Deutschland vor allem in der Nutztierhaltung zur Behandlung von Darmerkrankungen eingesetzt sowie beim Menschen speziell bei Carbapenem-resistenten Enterobakterien. Nach Angaben des Robert-Koch-Institut wird das relativ alte Antibiotikum Colistin in den letzten Jahren wieder vermehrt verabreicht. Colistin hat nicht unerhebliche Nebenwirkungen, ist aber immer öfter „eine letzte verbliebene Therapieoption“.Diese letzte Möglichkeit könne laut einer Mitteilung des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) ebenfalls bald unwirksam werden.

Den Wissenschaftlern in China ist das Gen mcr-1 bei Routineuntersuchungen von Hühnern und Schweinen in fünf Provinzen Südchinas aufgefallen. Die Tiere trugen oftmals eine besonders resistente Form des Darmbakteriums Escherichia coli (E. coli), welches gegen Colistin Resistenzen zeigte. Bei genauer Untersuchung der Bakterien entdeckten die Wissenschaftler bei allen Plasmide, die das Gen mcr-1 in sich trugen. Da das Gen auf Plasmiden sitzt, eine Art von mobiler DNA, kann es sich leicht vervielfältigen und auf andere Bakterienarten übergehen. Die Wissenschaftler in China fanden das Gen dann auch in Proben des Darmbakteriums Klebsiella pneumoniae. Durch das mcr-1 Gen besteht die Gefahr, dass Bakterienstämme nicht nur gegen Colistin, sondern gegen ein ganzes Antibiotika-Spektrum, den sogenannten Polymyxine, immun sind.

Jedes fünfte untersuchte Tier trug E.-coli-Bakterien mit dem Resistenz-Gen in sich. Bei 15 Prozent des rohen Fleisches wurde das Gen ebenfalls nachgewiesen und in den Krankenhäusern in den Provinzen Guandong und Zhejiang wurde mcr-1 bei 16 von 1322 Proben nachgewiesen, was 1, Prozent entspricht. Laut BfR, führen die Chinesischen Wissenschaftler das Vorkommen des Gens auf den häufigen Einsatz von Colistin in der chinesischen Tierhaltung zurück. "Das sind extrem besorgniserregende Ergebnisse", so Liu Jian Hua, Hauptautor der Studie. Es habe „Epidemie-Potenzial“, da es so leicht weitergegeben werde, berichten die Autoren im Fachmagazin "The Lancet Infectious Diseases“. Dieses Gen stellt ein Novum dar. Bisher waren so große Resistenzen nur durch Mutationen in einzelnen Organismen beobachtet worden, bei der eine Weitergabe extrem begrenzt war.

Als die Studie veröffentlicht wurde, trat das Gen nur in China auf, aber eine weltweite Verbreitung wurde da schon erwartet. „Wenn MCR-1 sich weltweit verbreitet, was nur eine Frage der Zeit ist, dann wird es sich unvermeidlich mit anderen Genen der Antibiotika-Resistenz verbinden. Dann werden wir sehr wahrscheinlich den Beginn der post-antibiotischen Ära erreichen", erklärt Timothy Walsh von der Universität Cardiff, ebenfalls beteiligt an der Studie.

So kam es dann auch Anfang Dezember 2015. Dänische Behörden fanden es in Proben von deutschem Geflügelfleisch und einem dänischen Patienten. Tests in den Niederlanden und England zeigten ebenfalls positive Befunde. Nach den Funden des mcr-1 Gens in China wurden auch in Deutschland Bakterien-Proben bei Tieren und Menschen auf dieses Gen untersucht, die eine Resistenz gegen Colistin zeigten. Wie in Dänemark wurde auch bei einem deutschen Patienten in der Bakterienprobe das mcr-1 nachgewiesen und ist bei Nutztieren weit verbreitet, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin und die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) berichteten. Kommen zu der Colistinresistenz weitere Resistenzen hinzu, wie bei der menschlichen Probe aus Deutschland, sei schnell eine „ausweglose Situation“ da, wie die Universität Gießen berichtet, die das Gen nachgewiesen hatten. In diesem Fall ist das Bakterium auch immun gegen Carbapenem, einem anderen Notfall-Antibiotika.

Das Institut für Medizinische Mikrobiologie in Gießen sequenzierte das Genom bei einer Auswahl dieser Bakterienstämme. Durch diese Sequenzierungsdaten konnte das mcr-1 in drei Schweine Isolaten, die ab 2011 gesammelt wurden sowie bei der Probe des deutschen Patienten von 2014 eindeutig identifiziert werden. Bei allen vier mcr-1 tragenden Isolaten haben die Forscher weitere Resistenzen gegen Antibiotika nachweisen können, wie gegen Carbapenem. Damit wurde das Resistenzgen mcr-1 erstmals auch in Deutschland bei Nutztieren und beim Menschen nachgewiesen. Über das Ausmaß der Verbreitung kann zum jetzigen Zeitpunkt keine zuverlässige Aussage gemacht werden. Auch über mögliche Übertragungswege und über die Richtung der Übertragung, also von Tier zu Mensch oder über die Nahrung auf den Menschen, gibt es noch keine Erkenntnisse. Fest steht nur, dass mcr-1 seit 2011 in Deutschland ist und seit fünf Jahren die Möglichkeit einer Übertragung auf den Menschen besteht. Die Ergebnisse wurden ebenfalls im Fachmagazin „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht.

„Mcr-1 ist ein Enzym der Gruppe der Phosphoethanolamin-Transferasen, welches Phosphoethanolamin an LPS anhängt und das Bakterium somit unempfindlich gegenüber Colistin macht“, so das Robert Koch Institut. „Die prinzipielle Gefahr des Aufkommens und der Plasmid-vermittelten Verbreitung einer neuartigen übertragbaren Colistin-Resistenz erfordert eine intensivierte Überwachung der Resistenzsituation im veterinär- wie auch im humanmedizinischen Bereich, um einen Überblick über die aktuelle Lage in Deutschland zu erhalten.“Wegen der einfachen Verbreitung hat das Robert Koch Institut deutsche Labore aufgerufen, ihre gegen Colistin resistenten menschlichen Isolate an Referenzlabore zu schicken.

Mit speziellen Resistenzmechanismen der Enterobakterien Escherichia coli und Salmonella enterica beschäftigt sich der Forschungsverbund RESET. Koordiniert wird RESET von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (Institut für Biometrie, Epidemiologie und Informationsverarbeitung, Prof. Dr. Lothar Kreienbrock). Beteiligt ist auch die Freie Universität Berlin mit dem Institut für Tier- und Umwelthygiene und dem Institut für Lebensmittelhygiene sowie. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und dem Institut für Medizinische Mikrobiologie wurden in unterschiedlichen Studien zur Verbreitung solcher Keime bei Tieren, Menschen und Lebensmitteln eine umfangreiche Sammlung an Bakterienstämmen angelegt. Die Ergebnisse und Herkunft der Bakterien wurden in einer gemeinsamen Datenbank erfasst.

Es bedarf weiterer Untersuchungen zu mcr-1 in Deutschland und anderen Ländern. Der Umfang der Verbreitung bei Tieren, Lebensmitteln und Menschen muss erforscht werden, genau wie die Arten und Richtungen der Übertragung.

Die neue Problematik durch das mcr-1 und möglichen neuen Superkeimen wird die Diskussion über den massiven Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung weiter befeuern. Hier sehen viele Wissenschaftler die Hauptursache für die steigenden Resistenzen von Bakterien gegenüber Antibiotika. Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Anfang November werde heute weniger Antibiotika bei der Tierzucht verwendet als vor wenigen Jahren. Nach Angaben des BUND wurden in der Tierhaltung im Jahr 2014 tatsächlich weniger Antibiotika eingesetzt, doch der Einsatz von Reserve-Antibiotika sei gestiegen und lag bei 16 Tonnen.“Der Einsatz der für die menschliche Gesundheit besonders wichtigen Reserveantiantibiotika gehört gänzlich verboten", erklärte der Vorsitzende des BUND, Hubert Weiger.

Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne) fordert ein Ende des massiven Einsatzes von Antibiotika in der Nutztierhaltung. Auf Niedersachsen entfalle mehr als die Hälfte des bundesweiten Verbrauchs, was fatale Folgen nach sich zieht. „Ohne Richtungswechsel steuern wir geradewegs in ein Post-Antibiotika-Zeitalter“, so Meyer. Es stehe die Gesundheit insgesamt auf dem Spiel, sollte irgendwann das noch letzte Antibiotikum nicht mehr wirken. Bereits die Veröffentlichung der chinesischen Forscher hat die Fachwelt aufhorchen lassen. Die Nachricht über Resistenzen bei Tieren und Menschen habe betroffenen gemacht, sagte die Direktorin des Charité-Instituts für Hygiene und Umweltmedizin, Petra Gastmeier. "Trotzdem dachten wir noch: China ist ja weit weg.“

Als die Weltgesundheitsorganisation WHO vor nicht allzu langer Zeit von einer „Rückkehr in Vor-Antibiotika-Zeiten“ sprach, bei denen bereits geringfügige Infektionen oder Schnittverletzungen tödlich enden könnten, war die Bedrohung nur eine theoretische. Mit dem mcr-1 Gen, was sich so einfach auf andere Bakterienstämme überträgt und gegen mehrere Reserveantiobitika immun ist, scheint die Aussage der WHO in einem neuen Licht.

Das BfR rät bei Lebensmitteln zu „sorgfältiger Küchenhygiene“, damit die Keime vom rohen Fleisch nicht auf andere Lebensmittel übergehen. Außerdem sollte das Fleisch gut erhitzt werden. Das Robert Koch-Institut überwacht in Deutschland ständig die Resistenz-Entwicklung. Bei einem der häufigsten multiresistenten Erreger, dem MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), geht die Resistenzrate stetig zurück. Gleichzeitig kommen bei anderen Erregern häufiger neue resistente Formen auf. Mit dem Gen mcr-1 ist nun alles anders.