Patient-Krebsdiagnose

Seit Jahren kämpft die Sangerhäuser Bürgeraktion für sauberes Trinkwasser. Das Trinkwasser ist mit Nitrat und vor allem Uran belastet. Die Behörden spielen das Problem laufend herunter und berufen sich auf die gesetzliche Rechtslage. Nun bringen einige Ärzte die hohe Krebsrate und vielen Krebstoten in der Region mit dem Uran im Trinkwasser in Zusammenhang und wenden sich direkt nach Berlin an den Präsidenten der Bundesärztekammer.

Die Region Sangerhausen bezieht ihr Trinkwasser aus Tiefbrunnen. Dies ist teils in hohen Konzentrationen mit Sulfat, Nitrat und Uran belastet, weshalb es gefiltert und durch Zugabe von unbelasteten Wassers verschnitten wird. Dadurch können die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung eingehalten werden, wenn auch nur knapp. Die Bürgerinitiative für uran- und sulfatfreies Trinkwasser in Sangerhausen fordert seit Jahren einen Fernwasseranschluss und die Versorgung mit Trinkwasser aus der Rappbodetalsperre. Sangerhausen wird nicht vor 2017 und Roßla wohl nicht vor 2020 mit Fernwasser versorgt. Seit 2006 sind erhöhte Uranwerte in der Region bekannt. Messwerte bei Uran von 8,7 Mikrogramm/Liter wie es Messungen ergeben, sind untragbar. Auch wenn damit der vorgeschriebene Grenzwert von 10 Mikrogramm pro Liter eingehalten wird.

Der Anschluss an das Fernwasser dauert den Sangerhäuser Bürger viel zu lange. Vor allem hinsichtlich der Tatsache, dass bereits vor 20 Jahren schon die Möglichkeit des Fernwasseranschlusses bestanden habe. Der Ratsbeschluss der Stadt, mit dem der Wasserverband die Versorgung umstellen wird, wurde vor beinahe drei Jahren beschlossen. Als der Sangerhäuser Stadtrat im Oktober 2013 den Beschluss fasste die Kreisstadt und Umgebung künftig mit Fernwasser aus der Rappbodetalsperre zu versorgen, hatte das Land Sachsen-Anhalt Fördermittel zugesichert und das Landesverwaltungsamt eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorm Bau der Leitung von Nienstedt nach Sangerhausen als nicht nötig erachtet. Trotzdem geht das Vorhaben extrem zäh voran. Noch immer erhalten die Sangerhäuser ihr Trinkwasser aus den Tiefbrunnen.

Zuletzt wurde die erhöhte Krebsrate der Menschen in dieser Region mit dem uranbelasteten Trinkwasser in Zusammenhang gebracht. Mit einem Schreiben an Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, versuchen die Sangerhäuser die Umstellung an Fernwasser zu beschleunigen. . „Wir hoffen, dass nun bald eine Antwort aus Berlin eintreffen wird“, sagt Gerhard Ernst, einer der Sprecher der Sangerhäuser Bürgeraktion.

Neben der Bürgeraktion gehören zu den Initiatoren des Schreibens gehören der Sangerhäuser Mediziner Sigurd Grünbein sowie die beiden Kinderärzte Winfried Eisenberg aus Herford und Ernst-Hinrich Ballke aus Greifswald. Sie wiesen Prof. Montgomery auf einen möglichen kausalen Zusammenhang zwischen der Krebshäufigkeit und Krebssterblichkeit in der Region und dem Schadstoffgehalt des bereitgestellten Trinkwassers gibt. Der hohe durch die Bodenbeschaffenheit verursachte Urangehalt sowie die hohe Nitratbelastung sind zumindest ein zu berücksichtigender Faktor der auffälligen Krebsraten dieser Region. Da es bisher dazu keine wissenschaftliche Untersuchung gäbe, wollen die Ärzte mit diesem Schreiben an die Bundesärztekammer dazu anregen. Eine Untersuchung dahingehend ist nach deren Meinung längst hinfällig.

Besonders für Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder sowie für alte und kranke Menschen mit geschwächtem Immunsystem sei aus ärztlicher Sicht eine Umstellung auf Fernwasser schnellstmöglich umzusetzen, wie Ernst und Grünbein betonen. Allein schon wegen der statistisch nachgewiesenen hohen Krebssterblichkeit im Landkreis Mansfeld-Südharz mit 28 Prozent. Mit diesem Wert liegt die Region bundesweit mit an der Spitze.

2013 wurde das Gebiet der Stadt Allstedt in die Fernwasserversorgung durch den Trinkwasserzweckverband Südharz (TZV) aufgenommen. Damals verkündete die Kreisverwaltung Mansfeld-Südharz es gäbe für die Bürger „kein akutes Uran-Trinkwasserproblem mehr“. Auch Landrat Dirk Schatz (CDU) zeigte sich erfreut, „dass nunmehr alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Trinkwasser erhalten, in dem der Uran-Grenzwert nicht mehr überschritten wird.“ In Sangerhausen hat sich die Hartnäckigkeit der Bürgerinitiative bisher nicht dermaßen ausgezahlt, wie in Allstedt. Dort wurden die genutzten Tiefbrunnen bisher lediglich mit Uranfiltern ausgebaut, um die gesetzlichen Grenzwert von 10 Mikrogramm/Liter einzuhalten. Sangerhausen solle „in absehbarer Zeit“ an das Fernwasser angeschlossen werden, hieß es damals.

2014 hofften die Sangerhäuser dies könne bis 2015 realisiert werden. Neben einem einwandfreien Trinkwasser gäbe es schließlich auch andere gute Argumente wie die Kosten für die Trinkwasserversorgung. „Für den Zeitraum 2014 bis 2018 ergäbe die schnellstmögliche Umstellung auf Fernwasser eine Einsparung von rund 546 000 Euro jährlich beim Wasserverband“, erklärte der Sprecher der Bürgerinitiative, Gerhard Ernst. Das Erfurter Büro Prowa hat eine Studie vorgelegt, welche die Kosten einer Fernwasserversorgung mit einer eigenen Trinkwasseraufbereitungsanlage über den Zeitraum von 50 Jahren vergleicht. Die Fernwasserversorgung stellte sich als „wesentlich billiger“ heraus. Zusammengefasst könnten zwischen 2014 und 2018 sogar etwa rund 12,8 Millionen Euro bei den rund 55 000 Kunden eingespart werden.

Schon damals musste Oberbürgermeister Ralf Poschmann (CDU) die Hoffnungen dämpfen und sagte, dass der Fernwasseranschluss bis 2015 nicht umzusetzen sei. „Ich bin kein Fachmann, glaube aber den Experten des Wasserverbands. Weihnachten kommt nicht einen Tag schneller, auch wenn man sich das noch so sehr wünscht“, so Poschmann. Es seien einfach noch zu viele Aufgaben zu erledigen.

Die Fördermittel von 1,5 Millionen Euro des Landes Sachsen-Anhalt mussten bis Mitte 2015 verbaut werden. So wurden Baumaßnahmen in Angriff genommen, um alte Leitungen zu erneuern, wie in Riethnordhausen, Holdenstedt, Riestedt, Wallhausen, Beyernaumburg und Sangerhausen. In dem Bericht des ehrenamtlichen Verbandsgeschäftsführer Ernst Hofmann ging nicht hervor, wann die Leitung vom Übergabeschacht Nienstedt nach Sangerhausen gebaut wird. Sie solle 2016/17 gebaut werden, ohne Fördermittel des Landes. Gut ein Jahr konnte eingespart werden, da das Landesumweltministerium keine Umweltverträglichkeitsprüfung vom Wasserverband gefordert habe.

Die Sangerhäuser Bürgeraktion und ihr Sprecher Gerhard Ernst fordern seit langem, auch wegen dem langen Zeitraum der Umstellung, den Wasserverband und die Verbandsräte dazu auf, wenigstens für besonders betroffene Menschen Ersatzwasser zur Verfügung zu stellen. „Bitte klären Sie die Wasserversorgung für alle Säuglinge, Kinder, Kleinkinder und Schwangeren!“, so Ernst. Doch bisher stellt der Wasserverband Südharz selbst für Schwangere, Säuglinge oder Kleinkinder kein Ersatzwasser bereit. Geschäftsführerin Jutta Parnieske-Pasterkamp argumentiert mit den gesetzlichen Vorgaben. „Da wir die Werte der Trinkwasserversorgung einhalten, sieht die Verbandsversammlung keinen Bedarf, Ersatzwasser zu liefern.“

Bei der Forderung nach Ersatzwasser verwies Ernst auf die Stellungnahme des Herforder Kinder- und Jugendarztes Dr. Winfried Eisenberg, der seit Mitte der 1980er Jahre in der Deutschen Sektion der „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) mitarbeitet. Darin hat Dr. Eisenberg die Gefahren durch Uran und den Zusammenhang der hohen Krebsrate und –toten in der Region erläutert. Die Verbandsräte hatten zwar die Bereitstellung von Ersatzwasser erwogen, doch nach „kurzer Diskussion“ dagegen entschieden.

Auch die Patienten der Sangerhäuser Helios-Klinik werden mit dem Trinkwasser versorgt. Die Sprecherin Anett Brommund-Schnabel betont, dass die Sicherheit der Patienten besonders wichtig sei und deshalb „haben wir uns sowohl vom lokalen Wasserversorger als auch vom Bundesumweltamt bestätigen lassen, dass die Nutzung des Leitungswassers in Sangerhausen für alle unsere Patienten - insbesondere für Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder - medizinisch unbedenklich ist.“

Brommund-Schnabel beruft sich auf das Umweltbundesamt, wonach der Grenzwert für Uran „toxikologisch begründet“ sei und „alle Bevölkerungsgruppen lebenslang vor der chemisch-toxischen Wirkung von Uran auf das gesundheitliche Zielorgan, die Niere“, schützen würde. Dieser Begründung zufolge sind immungeschwächte, ältere Menschen, schwangere Frauen, Säuglinge und Kinder in den ersten Lebensjahren eingeschlossen. In der Klinik werde kein extra deklariertes Wasser verwendet, denn „Trinkwasser, in dem alle Grenzwerte der Trinkwasserverordnung eingehalten sind, eignet sich auch immer zur Zubereitung von Säuglingsnahrung.“

Erst wenn der Uran Grenzwert von 10 Mikrogramm/Liter überschritten sei, wäre das Wasser nicht geeignet. Ein für „Säuglingsnahrung geeignetes“ Mineralwasser darf den Grenzwert von 2 Mikrogramm/Liter nicht überschreiten, doch dies laut UBA nicht zwangsläufig einen gesundheitsbedingten Grund. So schreibt das UBA in einer Mitteilung von 2008: „Der Anfang 2006 vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfohlene „Säuglingswert“ von 2 Mikrogramm Uran pro Liter ist für abgepackte Wässer mit dem Aufdruck „geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung“ seit 01.12.2006 als Grenzwert rechtsverbindlich. Er ist, anders als der UBA-Leitwert, der Höhe nach nicht nur toxikologisch motiviert und entsprechend begründet. Vielmehr handelt es sich bei diesem Wert auch um eine Produktkennzeichnung, die den Verbraucher vor Irreführung schützen soll. Nur abgepackte Wässer (Quellwässer, Tafelwässer, natürliche Mineralwässer), die diesen und sieben andere „Säuglingswerte“ (für Arsen, Mangan, Natrium, Nitrat, Nitrit, Sulfat, Fluorid) gleichzeitig einhalten, dürfen mit dem Hinweis „geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung“ in besonderer Weise für sich werben.

Ein „Säuglingsgrenzwert“ signalisiert also nicht allein gesundheitliche Sicherheit, sondern darüber hinaus generell ganz besonders geringe Gehalte an Spurenstoffen und Mineralien in einem als „säuglingsgeeignet“ gekennzeichneten abgepackten Wasser. Aus Sicht des BfR und des UBA würde eine Warnmeldung für den Urangehalt des Trinkwassers, die sich auf Überschreitungen des „Säuglingswertes“ von 2 Mikrogramm Uran pro Liter bezöge, in der Öffentlichkeit zu einer Fehlinformation in Form einer Risikoüberschätzung führen. Lediglich Trinkwässer oder abgepackte Wässer, die mehr als 10 Mikrogramm Uran pro Liter enthalten, sind nach Auffassung des UBA und des BfR nicht geeignet, um mit ihnen regelmäßig Säuglingsnahrung zuzubereiten.“

Diese Einschätzung steht im Widerspruch einer von Deutschland beauftragten Studie bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Die EFSA leitete zwar keinen konkreten Grenzwert ab, doch ermittelte anhand vier Szenarien mögliche Belastungen durch Uran. „Wenn Kleinkinder hauptsächlich Wasser trinken, das bis zu 8,4 Mikrogramm Uran pro Liter enthält, nehmen sie mindestens doppelt so viel Uran auf, wie es laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gerade noch akzeptabel ist. Der in Deutschland bislang diskutierte Grenzwert von zehn Mikrogramm Uran pro Liter Wasser ist daher keinesfalls ausreichend, um die Gesundheit von Kindern vorsorgend zu schützen. Selbst bei einem Urangehalt von zwei Mikrogramm pro Liter nehmen Kinder bereits die Hälfte der gerade noch duldbaren Höchstmenge an Uran auf – und zwar allein über Wasser, andere Lebensmittel noch nicht eingerechnet […]In ihrer Risikobewertung schreibt die EFSA, dass die Belastung von Kleinkindern bis zu dreifach höher sein kann als bei Erwachsenen. Die Behörde kommt zu dem Schluss, dass solche Belastungen von Kleinkindern vermieden werden sollten“, schreibt die Verbraucherorganisation foodwatch. „Selbst bei vier Mikrogramm werde die von der Weltgesundheitsorganisation WHO ausgewiesene tolerierbare Tageshöchstmenge bei Babys noch überschritten, sagte auch EFSA-Wissenschaftlerin Claudia Heppner gegenüber dem ARD-Magazin Report München.

Im Frühjahr dieses Jahres hat die Bürgerinitiative das Thema Ersatzwasser auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgetragen und übergab ihm bei seinem Wahlkampfauftritt in der Sangerhäuser Helios-Klinik einen Brief. Sie forderten Unterstützung seinerseits, doch weil er sich scheinbar nicht einschaltet, wertet die Bürgerinititive dies als Verletzung seiner Vorsorgepflicht. Dafür spricht auch, dass keine Reaktion auf das Schreiben vom Januar an das Bundesgesundheitsministerium erfolgte. „Wir erhielten noch nicht einmal eine Empfangsbestätigung oder eine Zwischenantwort.“

Die Bürgeraktion um Gerhard Ernst und Sigurd Grünbein hatte sich sogar schon im Januar schriftlich an das Bundesgesundheitsministerium gewandt, um eine schnellere Versorgung der Sangerhäuser Region mit Fernwasser zu erreichen; im Gegensatz zum örtlichen Tiefbrunnenwasser ist es frei von gesundheitsschädigendem Uran. Ernst und Grünbein sind bitter enttäuscht über die Ignoranz: „Wir erhielten noch nicht einmal eine Empfangsbestätigung oder eine Zwischenantwort.“

Am 28 Juli 2010 ist das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser von der Vollversammlung der Vereinten Nationen als Menschenrecht anerkannt worden. „Herr Gröhe müsste eigentlich dieses Menschenrecht erfüllen, achten und schützen. Nach Artikel 2 (2) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland hat jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Gröhe verletze diese Rechte, wenn die mögliche Versorgung von Fernwasser nicht umgehend umgesetzt würde. „Ich habe den Eindruck, dass man es nicht begreift, dass die Zeit gegen den Menschen arbeitet“, sagt Eberhard Raab von der Bürgerinitiative.

 

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